Etailment-Expertenrat
Von Matthias Schu am 07. November 2023
Die Letzte Meile ist einer der Hauptkostentreiber im Onlinelebensmittelhandel und Schreckgespenst von so manchem Händler. Doch welche Themen bewegen Händler und Kunden aktuell rund um die Letzte Meile? Welche Zustellformen stehen derzeit im Fokus? Und wohin entwickelt sich die Letzte Meile mittelfristig? Diesen Fragen widmet sich E-Food-Experte Matthias Schu in diesem Expertenbeitrag.
Veränderte Kundenerwartungen dominieren heute nicht mehr nur die Händlerauswahl, sondern ebenfalls in großem Maße deren Leistungsspektrum. Und bei E-Food zählt dazulängst nicht mehr nur das Sortiment, sondern vor allem auch die Lieferleistung des jeweiligen Anbieters. Und die Frage, ob diese Lieferleistung die Bedürfnissituation des Kunden trifft.
Interessanterweise sind sich sowohl Praktiker als auch diverse Studien und Publikationen uneinig, welche Kosten und vor allem auch welche Komplexität die Letzte Meile nun tatsächlich verursacht. Dies auch deswegen, da nicht allgemeingültig geklärt ist, was die Letzte Meile denn nun beinhaltet. Doch auch bei den Verbrauchern gibt es noch immer diverse Bedenken hinsichtlich dem „Liefernlassen“.
© IMAGO / snowfieldsphotography
Die Qualität der Lieferleistung entscheidet sich auf der Letzten Meile. Viele Händler fürchten Kosten und Komplexität der Logistik auf den letzten Metern - und nicht wenige entscheiden sich deshalb gegen einen Einstieg in die Lebensmittellieferung.
Kundenbedürfnisse in den Vordergrund rücken
Um heutzutage im „Kampf der Konzepte“ zu bestehen, müssen sich vor allem die aus dem traditionellen LEH stammenden Händler deutlich stärker mit dem Thema Letzte Meile auseinandersetzen. Und auch hier eine Differenzierungsmöglichkeit schaffen und dabei die Stärken ihrer bestehenden Strukturen um einiges prominenter zu einem Vorteil aus Kundensicht ummünzen.
Aus Händlersicht sind fünf Themenfelder relevant, die heute bei E-Food auf der Letzten Meile im Vordergrund stehen, um den Kunden in seiner Bedürfnissituation bestmöglich anzusprechen. Diese sind:
- Geschwindigkeit und Cut-off-Zeiten
- Convenience und Lieferzeitfenster
- Nachhaltigkeit
- Order-Tracking / Delivery-Journey
- Auswahl weiterer Optionen innerhalb der Customer-Journey
Über den Autor
Dr. Matthias Schu ist einer der führenden E-Food-Experten im DACH-Raum, Mitglied der K5 Köpfe und des Etailment-Expertenrats. Nach über einem Jahrzehnt in leitenden Positionen in Beratung, Business-Development und Projektmanagement im In- und Ausland, lehrt er seit September 2020 als Dozent für E-Commerce und Handel an der Hochschule Luzern. Zudem berät und unterstützt er mit seiner Beratung "Dr. Matthias Schu | retail I ecommerce | internationalization strategy" Kunden aus Handel und Industrie. Einen Deep Dive in die Letzte Meile mit Fokus E-Food bietet sein neuerE-Food Last Mile Delivery Report.
© privat
Es gibt nicht das eineModell
Analysiert man gängige Modelle der Letzten Meile im Onlinelebensmittelhandel, lässt sich feststellen, dass es nicht das eine dominante Modell gibt. Und sich die Modelle in der letzten Dekade noch stärker fragmentiert haben; dies auch durch den fortschreitenden Bedeutungszuwachs von Omnichannel- und Noline-Commerce und einer Erweiterung der Touchpoints.
So wundert es auch nicht, dass gerade Händler, die einen ursprünglich stationären Fokus aufweisen, oftmals nicht ein Ausliefermodell in Reinform betreiben, sondern einen Mix verschiedenster Optionen anbieten („Mischformen“). Dies, um möglichst viele Bedürfnissituationen der Kundschaft zu adressieren und abzudecken.
In der praktischen Ausführung begegnet einem auf der Letzten Meile ein bunter Strauß an Möglichkeiten bei der Zustellung mit
- Kastenwagen/Kleintransportern,
- Elektroleichtfahrzeugen,
- Velokurieren und Lastenrädern,
- Rollern und Scootern,
- "Walking Deliverys",
- Crowdshipping,
- Lieferdrohnen,
- Lieferrobotern und selbstfahrenden Fahrzeugen, und auch
- Click&Collect-Schaltern, Drive-in-Konzepten oder Locker-Boxen, bei denen die Letzte Meile an die Kunden outgesourced wurde.
© Matthias Schu
Ausliefermodelle in der E-Food-Praxis
Nachhaltig und "grün"
In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat der Onlinehandel weltweit stetig zugenommen und auch die breit akzeptierte Nutzung von Smartphones hat das Verbraucherverhalten nachhaltig verändert. Doch in Bevölkerung und Medien wird E-Commerce – wobei der Fokus hier primär nicht auf den Onlinelebensmittelhandel, sondern auf Non-Food gelegt wird – nicht nur als Zerstörer der Innenstädte angesehen, sondern steht auch vielerorts in der Kritik, nicht nachhaltig zu sein.
Im Fokus der Kritik stehen dabei die Themen Verpackungsmüll, Retourenquoten, viele Einzelbestellungen statt des vermeintlich effizienten Großeinkaufs amWochenende sowie vor allem das Thema weite Strecken, auf denen die Bestellungen unterwegs sind.Diese Kritikpunkte konnten inzwischen durch etliche Studien sowohl für den E-Commerce generell also auch für E-Food widerlegt werden. Hinsichtlich der CO2-Bilanz ist E-Food deutlich nachhaltiger als der Individualeinkauf im System stationärer Supermarkt.
Etailment-Expertenrat
In unserem Gastautoren-Club "Etailment-Expertenrat" schreiben von der Redaktion ausgewählte Autoren im Wechsel über den digitalen Handel von heute und morgen.
Die kompetenten Kolumnisten aus Handel, Industrie, Wissenschaft und Agenturwelt liefern Denkanstöße, Strategien, Trends und Tipps zu Themen wie Marketing, Sales, Digitalisierung, Management, Logistik und anderen Problemfeldern des Handels.
Sie geben damit branchenübergreifende Impulse für die unternehmerische Zukunft.
Alle Kolumnen finden Sie jederzeit gesammelt unter"Etailment Expertenrat".
Wohin die Reise geht
Auch bei der Letzten Meile zeichnen sich Trends ab, um die Händler mittel- bis langfristig keinesfalls herumkommen können. Richtig erkannt und umgesetzt, bieten sich jedoch aus Händlersicht mannigfaltige Möglichkeiten, über eine klug und sauber aufgesetzte Last-Mile-Strategie eine deutliche Verbesserung der Unit-Economics sowie der eigenen EBIT-Rechnung zu erzielen. Und dabei, neben prozessualer Effizienz und Automatisierung, einen wichtigen Schritt zur Erreichung respektive Sicherung der eigenen Profitabilität im Gesamtsystem des Händlers sicherzustellen.
Die wichtigsten Trends mit Auswirkung auf die Letzte Meile sind:
- Liefergebühren und Zahlungsbereitschaft der Kunden dafür sinken mittelfristig weiter.
- Same-Day-Delivery und kurze Lieferzeitfenster werden ein Muss.
- Convenience für den Kunden: Lückenloses Tracking, Gamification, Convenience stehen bei den Kunden hoch im Kurs.
- Ausnutzen von Netzwerken und Spezialisten: Mittelfristig wird es nicht mehr vonnöten sein, die Letzte Meile unbedingt selbst zu machen.
- Noch mehr Nachhaltigkeit: Der Nachhaltigkeitsgedanke wird von Kunden noch stärker auf der Letzten Meile eingefordert werden.
- Autonome Zustellmethoden werden an Relevanz gewinnen.
Fazit
Gerade in den heutigen Zeiten von "Black Ocean" und Unsicherheit gilt: Der Fokus auf Effizienz, Digitalisierung und schlanke Prozesse, die nahtlos ineinanderübergreifen und so einen Zeit- und Kostenvorteil generieren, gehen auch an der Letzten Meile nicht vorüber. Händler wie spezialisierte Service-Provider müssen durch saubere Abläufe bei der Lieferung den Endkunden begeistern und so eine größere Loyalität schaffen.
© IMAGO / agefotostock
Lebensmittel-Lieferdienste
"Milchmänner" und "Taxifahrer": Warum sich E-Food auf dem Land weiter schwertut
Die Städte werden von neuen Lebensmittel-Lieferdiensten und Online-Supermärkten überschwemmt. Auf dem Land aber tun sich die neuen Wettbewerber schwerer, wie der Blick auf einige Pioniere zeigt. Mehr lesen
© Paketconcierge
Start-ups
So will Paketconcierge das Chaos auf der letzten Meile beenden
Oft klappt die Zustellung von Paketen an der Haustür nicht: Mal ist der Empfänger gerade nicht zu Hause, er hört die Klingel nicht oder der Zusteller versucht es erst gar nicht. Nicht selten beginnt dann eine lästige Suche nach dem Paket beim Nachbarn oder einem weit entfernten Paketshop. Das Berliner Start-up Paketconcierge will Abhilfe schaffen - mit einer Plattform, die Paketsendungen an universellen Abholpunkten bündelt. So soll die Zustellung für Kunden bequemer und für Dienstleister effizienter werden. Mehr lesen
© IMAGO / Lehtikuva
Etailment-Expertenrat
Quick Commerce: Die Konsolidierung beginnt
Seit dem Start von Gorillas in Berlin im Frühjahr 2020 hat sich die europäische Landschaft für schnelle Lieferungen in rasantem Tempo verändert. Prognostizierten Kritiker am Anfang lediglich ein kurzes Intermezzo, sprechen einige bereits jetzt, nur knapp zwei Jahre später, von einem neuen Megatrend, der die althergebrachte Handelslandschaft nachhaltig umprägen wird. Einen neuen Paukenschlag vollzog die Ankündigung des amerikanischen Anbieters Doordash, den europäischen Player Wolt zu übernehmen. Zeit also, einen Blick auf die bisherigen Entwicklungen zu werfen. Mehr lesen